Barrierefreiheit umsetzen – Domingos de Oliveira

Dieser Artikel ist eine Zusammenfassung des Buches „Barrierefreiheit umsetzen“ von Domingos de Oliveira.


TEIL I: Behinderung und Barrierefreiheit

  • Das Bild der Behinderung hat sich im Lauf der Zeit gewandelt, und heute befinden wir uns in einer Phase vom Übergang von der Integration zur Inklusion von von Barrieren betroffener Menschen.
  • Es findet ein Prozess statt: behinderte Menschen müssen sich nicht vollständig an die Gesellschaft anpassen, sondern sie gestalten die Gesellschaft gemeinsam mit nicht behinderten Menschen, um eine für alle Menschen geeignete, gleichberechtigte und lebenswerte Gesellschaft zu erschaffen. Dies ist Inklusion.
  • Ein entsprechendes Selbstbild behinderter Menschen setzt sich durch: Sie sind nicht mehr Opfer der Gesellschaft, sondern ein handlungsfähiger Teil davon. Das bio-psycho-soziale Modell geht von einer Wechselwirkung zwischen Individuum und Gesellschaft aus. Ein Mensch hat Einschränkungen und die Gesellschaft schafft zusätzliche Barrieren. Diese Einschränkungen können durch spezifische Maßnahmen ausgeglichen und die Barrieren reduziert werden. Behinderte Menschen werden unterstützt und nicht allein gelassen, behalten jedoch Einfluss auf ihr Schicksal.
  • Barrierefreiheit ist die Voraussetzung für gelungene Inklusion.
  • Besser als der Begriff Barrierefreiheit passt der Begriff Zugänglichkeit.
  • Wirkliche Barrierefreiheit ist nicht erreichbar.
  • Teilweise widersprechen sich die Anforderungen: für Sehbehinderte ist kontrastreiches Gestalten gut, mancher Autist kann sich aber von zu starken Kontrasten gestört fühlen. Sehbehinderte und Blinde mögen Hindernisse wie Bürgersteige um sich zu orientieren, für einen Rollstuhlfahrer kann eine Bürgersteigkante eine Hürde sein.
  • Regelwerk: Regeln sind sinnvoll und vereinfachen die Arbeit an Projekten, man kann in ihnen nachschlagen. Das Ergebnis sind aber häufig unübersichtliche Websites ohne echten Mehrwert für Behinderte. Wegen solcher Projekte steht die Barrierefreiheit im Ruf unattraktiv zu sein. Auch wenn die Regeln sinnvoll sind, es geht um Menschen, und wenn diese und ihre Anforderungen im Prozess nicht berücksichtigt werden, können keine guten Lösungen entstehen.
  • Barrierefreiheit ist die größtmögliche Benutzbarkeit und Benutzerfreundlichkeit für die größtmögliche Zahl an Menschen. D.h., wie barrierefrei etwas ist, wird am konkreten Menschen und seinen Bedürfnissen gemessen und nicht an Richtlinien und Normen.
  • Es wird immer jemanden geben, der das Angebot nicht nutzen kann.
  • Am besten zählt man immer die Maßnahmen oder Hilfen auf, die man umgesetzt hat, und die für die betroffenen Personen relevant sind. Alle allgemeineren Aussagen zur Barrierefreiheit sind nicht zielführend.
  • Universal Design: etwas ist so gestaltet, dass es für eine größtmögliche Anzahl an Menschen zugänglich und nutzbar ist.
  • Mythos eins: Barrierefreiheit ist teuer. Aber: die meisten Mehrkosten entstehen, weil die Anforderungen nicht von Beginn an berücksichtigt wurden.
  • Mythos zwei: Barrierefreiheit ist unattraktiv. Das stimmt teilweise, aber es gibt dafür Gründe: Kosten- und Effizienzdruck bei öffentlichen Stellen führen zum Umsetzen der günstigsten und schnellsten Lösung; viele Verantwortliche sehen Barrierefreiheit als lästige Verpflichtung und möchten es schnell von ihrer Liste streichen; Verantwortliche für Websites konzentrieren sich nicht auf den Nutzer und überfrachten die Seiten, Websites für spezielle Zielgruppen müssen nicht schön aussehen, zum Beispiel für Blinde. Hier liegt die Priorität auf Bedienbarkeit oder Erkennbarkeit.
  • Mythos 3: Barrierefreiheit macht unflexibel. Es wird argumentiert, dass wegen der Regeln die Möglichkeiten eingeschränkt werden. Es geht aber eher um die Anpassbarkeit von Produkten und Dienstleistungen und von dieser profitieren auch nicht behinderte Menschen. Gerade bei der Entwicklung von Dienstleistungen ist viel Kreativität gefragt, wir brauchen innovative Lösungen. Gerade hier braucht es kreative Köpfe.
  • Häufig sind es nicht behinderte Menschen, die am stärksten von Barrierefreiheit profitieren. Beispiel: Verbesserung der Hörqualität in Räumen und visuelle Gestaltung: Anpassbare Helligkeit, besser lesbare Dokumente und Präsentationen.

TEIL II: Vorbereitende Maßnahmen

  • Wichtig ist ein Bewusstsein für die Notwendigkeit von Barrierefreiheit in der Organisation
  • Accessibility-Mainstreaming hat das Ziel, bei allen relevanten Maßnahmen die Anforderungen von behinderten Menschen gleich mitzudenken
  • Auch passiver Widerstand bremst Prozesse aus, deshalb ist es wichtig alle Mitarbeiter mitzunehmen, und zu überzeugen, auch die Geschäftsführung. Erfahrungsgemäß ist ein Großteil der Menschen nicht vom Sinn der Barrierefreiheit überzeugt, weil sie vielleicht keinen Kontakt zu behinderten Personen haben und nichts über deren Bedürfnisse wissen. Viele der Maßnahmen erklären sich außerdem nicht von selbst. Mit Aufklärung und Sensibilisierung kann man Personen überzeugen.
  • Man kann vermutlich nicht alle Kollegen gewinnen. Aber es soll vor allem vermittelt werden, dass es sich um sinnvolle Maßnahmen handelt.
  • Rationalisten möchten wissen was es kostet, welche finanziellen Vorteile es bringt. Idealisten möchten von moralischen Argumenten überzeugt werden. Aber keinen der beiden gibt es in Reinform.
  • Langfristig ist es gut mit dem Thema Barrierefreiheit an weitere strategische Themen der Organisation anzuknüpfen (Stichwort: Gemeinwohlbilanz). Darauf aufbauend kann man begründen, warum Barrierefreiheit für die Organisation wichtig ist.
  • Wenn man Dienstleistungen so gestaltet, dass sie für möglichst viele Personen nutzbar sind, verbessert das auch die Verkaufschancen für das Produkt.
  • Auch zur Nachhaltigkeit gibt es Verbindungen: ein an unterschiedliche Bedürfnisse anpassbares Produkt ist länger verwendbar. Außerdem ist es ein Anknüpfungspunkt für Strategien zum Gewinnen und Behalten von Mitarbeitern. Auch in der Gesundheits-Prävention spielt Barrierefreiheit eine gewisse Rolle, zum Beispiel Ergonomie am Arbeitsplatz.
  • Solche Maßnahmen haben auch psychische Wirkung: erhöhte Zufriedenheit, Beteiligungsprozesse erhöhen das Gefühl wichtig für das Unternehmen zu sein.
  • Sensibilisierung und Schulungen: um Barrieren in den Köpfen abzubauen sind Schulungen gut, aber noch besser ist es z. B. einen behinderten Mitarbeiter einzuladen, seine Barrieren aufzuzeigen, oder einen Betroffenen einzuladen
  • Gezeigte und erlebte Barrieren wirken nachhaltiger als erzählte Barrieren.
  • Ziele einer Sensibilisierung: 1) Bewusstsein dafür entwickeln, wo es Barrieren gibt und warum sie abgebaut werden sollen. 2) Behinderte Menschen als selbstbestimmte Personen wahrnehmen.
  • Intern kommunizieren, welche Maßnahmen umgesetzt wurden.
  • Betriebswirtschaftliche Argumente: finanzielle Auswirkungen mangelnder Barrierefreiheit ist denn schwer zu messen, doch sie sind vorhanden. Eine wichtige Zielgruppe für Unternehmen sind heutzutage die über 50-jährigen, Sie haben weniger Verpflichtungen und mehr Freizeit, können mehr Geld frei ausgeben, sind unternehmenslustiger als vorherige Generationen. Kunden sind bereit, schnell zu wechseln, wenn ein anderer Anbieter ihre Bedürfnisse besser abdeckt. Einer der am wenigsten barrierefreien Bereiche im Internet ist der e-Commerce. Amazon ist deshalb so beliebt, weil die Menschen mit der Plattform vertraut sind und die Kundenfreundlichkeit bei Problemen gut ist.
  • Barrierefreiheit führt zu Produkten, die von älteren Menschen besser genutzt werden können. Dafür können wir alle dankbar sein, denn Barrieren sind für viele Menschen ein unnötiges Ärgernis.
  • Barrierefreiheit kann ein Qualitätsmerkmal sein und zum entscheidenden Kauffaktor werden, oder sogar zum Unique Selling Point. Beispiel: eine barrierefreie Online-Apotheke mit moderaten Preisen wäre für die Ü-50 Gruppe (und alle anderen) sehr interessant.
  • Gute Produkte für Menschen mit Barrieren sprechen sich schnell in der Szene herum.
  • Auch Mitarbeiter werden immer älter.
  • In Nordamerika gelten bereits heute Gesetze, die auch private Anbieter zu Barrierefreiheit verpflichten.
  • Wenn man für staatliche Einrichtungen oder im Wesentlichen für mit öffentlichen Geldern finanzierte Organisation arbeitet, könnte die Barrierefreiheit der Leistungen entscheidend dafür sein, dass das Unternehmen den Zuschlag für Aufträge bekommt.
  • Fazit: das barrierefreie Blog, dass wir gerade entwickeln, könnte für öffentliche Einrichtungen sehr interessant werden
  • Auch ist es wichtig, wenn nicht nur die Leistungen, sondern auch die Organisation selbst barrierefrei ist, man kann damit zeigen, dass einem das Thema wichtig ist und man weist Know-how in diesem Bereich nach.

TEIL III: Kompetenz finden und aufbauen

  • Man kann sich externe Berater suchen und/oder interne Kompetenz aufbauen
  • Bei Externen ist es wichtig, die Referenzen zu prüfen und sich die konkret durchgeführten Projekte anzuschauen, und ob es Publikationen gibt. Genauso sollte man bei behinderten Experten vorgehen, denn häufig haben diese ihre eigenen Anforderungen mehr im Blick.
  • Die einzelnen Mitarbeiter und die gesamte Organisation müssen nicht zum absoluten Experten für Barrierefreiheit werden, aber es ist gut ein solides Basiswissen zu haben. Wenn das Wissen nicht ausreicht, sollten Sie sich an den Experten in der Organisation wenden.

TEIL IV: Projektsteuerung

  • Essenzielle Frage: warum will man sein Angebot barrierefrei gestalten?
  • Aus den Motiven können die konkreten Ziele abgeleitet werden, und es wird auch klar welche Mittel und Methoden zu deren Erreichung führen. Je klarer die Ziele, desto leichter sind die sinnvollsten Methoden zu finden
  • Barrierefreiheit mit anderen Maßnahmen kombinieren: Sinnvoll ist auch einzelne Teilziele mit anderen Maßnahmen im gleichen Bereich zu verbinden: soll eine Website mobil-freundlich werden, kann man die Website auch gleich barrierefrei umbauen. Oder bei einer Überarbeitung des Corporate Designs / Relaunch der Website.
  • Barrierefreiheit von Anfang an einplanen und in alle Dokumente mit aufnehmen (Lastenheft, Pflichtenheft, Anforderungsmanagement)
  • Auch fortlaufende Verbesserung ist gut, z. B. Website Schritt für Schritt barrierefreier gestalten
  • Externe Betroffene können eingebunden werden: örtlicher Behindertenverein, Selbsthilfegruppen, lokale Zeitung/Gruppen bei xing und facebook.
  • Infos zur Barrierefreiheit sammeln: bei Mitarbeitern und Kunden, falls dort Beschwerden aufgelaufen sind, auch auffordern, diese zu melden und sich darum kümmern. Kritisches Feedback ist eine Chance, ein Produkt zu verbessern.
  • Eventuell für Kunden interessant: die SWOT-Analyse (Teil 1: Strengths/Weaknesses Teil 2: Opportunities, Treatings) S. 84/85
  • Wichtig: Integrieren der Anforderungen zur Barrierefreiheit an den passenden Stellen in Dokumente wie Redaktionshandbuch oder Styleguide.
  • Für viele Bereiche ist es sinnvoll, Barrierefreiheit als dauerhaften Prozess zu betrachten. Der Umbau einer Website ist nicht nach einer bestimmten Zeit abgeschlossen, man muss gelegentlich nachbessern. Man muss die Barrierefreiheit auch nicht von Anfang an perfekt umsetzen, und man kann flexibel auf Veränderungen reagieren.
  • Wichtig ist auch das Anforderungsmanagement. Man muss die Anforderungen für die unterschiedlichen Bereiche festlegen. Eine Möglichkeit ist, Aktionen zu definieren: man definiert eine Handlung, die durchführbar sein muss, und die zuständigen Personen arbeiten dazu dann eine Lösung aus. In diesem Zusammenhang sind auch Personas wichtig.
  • Maßnahmen festlegen möglich durch: 1) an Richtlinien orientieren 2) an einzelnen Zielgruppen orientieren
  • Während des Projekts sind Rücksprachen und Prüfungen sinnvoll.
  • Prüfung und Evaluierung nach Projektende, auch von Menschen oder Mitarbeitern mit einer Behinderung. Das macht am meisten Sinn wenn die Person auch mit dem Produkt arbeiten muss. Praxis-Test mit Betroffenen sind gut, aber: Behinderte Menschen sind nicht automatisch Experten für Barrierefreiheit, und sogar innerhalb der Gruppe der Blinden gibt es deutliche Unterschiede, das muss beachtet werden.

TEIL V: Nach dem Projekt

  • Man sollte dauerhafte Mechanismen implementieren, um die Barrierefreiheit sicherzustellen und stetig zu verbessern.
  • Verbesserungspotenzial entdecken durch Feedback Betroffener.
  • Entwicklungen in der Szene beobachten.
  • Maßnahmen verwerfen, wenn sie nicht funktionieren oder nicht nachgefragt werden.
  • Erklärung zur Barrierefreiheit: die Erklärung ist vor allem ein ideales Statement. Folgende Infos sollten enthalten sein: 
    Warum ist Barrierefreiheit für Sie wichtig? Welche Bereiche standen im Fokus ihrer Bemühungen? Wie sind Sie vorgegangen? Waren Personen aus der Zielgruppe beteiligt? Wen kann ich kontaktieren, wenn ich Fragen dazu habe? Wo finde ich detaillierte Infos zur Barrierefreiheit, etwa von Geschäftsräumen mit Kundenverkehr und Produkten?

Alle Informationen, die man gibt, sollten zumindest theoretisch überprüfbar sein, man sollte also nicht sagen die Website ist barrierefrei, sondern lieber die Website ist nach den Kriterien der WCAG 2.0 AA gestaltet worden.

Die Erklärung kann im Bereich Informationen zur Organisation untergebracht werden, sie sollte auch leicht erreichbar sein.

Wichtig ist auch, konkrete Informationen zur Barrierefreiheit zu geben: am besten alles aufzählen was man als Hilfen zur Barrierefreiheit anbietet. Die Informationen müssen aktuell sein.

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