Die Deadline ist gerissen, aber hat sich etwas geändert? Unserer Wahrnehmung nach sind viele Unternehmen entspannt im Hinblick auf das Ende Juni 2025 in Kraft getretene Barrierefreiheitsstärkungsgesetztes, aber vielleicht wissen viele auch immer noch nichts davon. Deshalb hier ein paar Informationen rund um das Thema, die helfen sich zu orientieren.
Die große Mehrheit aller kommerziellen Webseiten sind betroffen.
„Barrierefreiheitsstärkungsgesetz“ oder EN 301 549 klingt nach Behördensprache, aber das Gesetz gilt nicht nur für Behörden. Denn fast jede kommerzielle Webseite ist mehr oder minder betroffen.
Welche Angebote sind genau betroffen?
Das Gesetz betrifft private Unternehmen, die digitale Produkte oder Dienstleistungen anbieten – z. B. Online-Shops, Banken, Buchungsportale etc. Aber: Kleinstunternehmen (weniger als zehn Beschäftigte und höchstens 2 Millionen Euro Jahresumsatz), die Dienstleistungen anbieten, sind vom Gesetz ausgenommen. Kleinstunternehmen, die Produkte in Umlauf bringen, fallen jedoch unter das BFSG (Quelle: Bundesfachstelle Barrierefreiheit).
Wann muss etwas geändert werden?
Viele Unternehmen haben noch nicht realisiert, wie viel Arbeit es tatsächlich sein kann, Barrierefreiheit sauber umzusetzen. Ihr solltet deshalb als erstes zügig herausbekommen, was genau in eurem Fall geändert werden muss und welchen Aufwand was nach sich zieht, denn das ist leider sehr individuell, da es davon abhängt, was genau ihr auf euren Webseiten anbietet und wie. Sobald etwas auf eurer Webseite dazu führt, dass ein Geschäft zustande kommt, ist es sehr wahrscheinlich, dass zumindest Teile des Angebotes barrierefrei sein müssen. Allerdings ist es oft gar nicht so einfach, eine Seite nur teilweise barrierefrei zu machen, da es ja z.B. zentralen Code gibt, wie Header und Footer oder Komponenten, die überall verwendet werden, wenn ein CMS im Einsatz ist. Ein möglicher Einstieg wäre zum Beispiel euer Angebot mit der Wave Extension zu überprüfen.
Was passiert, wen wir weiter nichts ändern?
Das ist leider noch nicht klar. Es gibt seriöse, professionelle Einschätzungen, dass eine Abmahnwelle ähnlich wie zu Zeiten der DSGVO nicht zu erwarten ist. Außerdem gibt es großzügige Übergangsfristen, die erlauben, wenn am Angebot nichts geändert wird, Barrierefreiheit bis 2030 zu implementieren. Was aber genau mit „wenn nichts geändert wird“ gemeint ist, ist nicht geklärt. Also ob es zum Beispiel reicht, dass es inhaltliche Änderungen gibt, oder nur Änderungen an der Codebasis gemeint sind. Abgesehen davon wird es durch Abwarten erst mal nicht mehr barrierefreie Angebote geben, was sehr schade ist, zumal ja auch diese Frist irgendwann einmal vorbei ist und die Arbeit dann doch getan werden muss.
Die Sache ist meist leider komplexer als gedacht.
Barrierefreie Umgestaltung in Design, Code und Inhalt kann ziemlich eingreifend sein – von Tastaturnavigation bis hin zu Farbkontrasten, Alternativtexten, ARIA-Rollen etc. muss vieles bedacht und geändert werden. Unser Eindruck ist, dass viele Entwickler:innen und Designer:innen auch noch Wissen oder Tools fehlen, um das Thema anzugehen.
Ihr wollt dieses wichtige Thema aber angehen und braucht Hilfe? Hier ein paar Antworten auf die wichtigsten Fragen
Was bedeutet „barrierefrei“ in der Praxis?
Einige typische Anforderungen sind:
- Tastatur-Navigation muss ohne Maus möglich sein
- Kontraste & Farben ausreichend (z. B. 4.5:1 bei Text)
- Alternativtexte für Bilder
- Formulare korrekt beschriftet (zugängliche Namen, Fokusführung)
- Screenreader-Kompatibilität
- Fehlermeldungen verständlich
- Fokuszustände sichtbar
- Keine störenden Animationen oder Timeouts
Gesetzlicher Hintergrund
BFSG – Barrierefreiheitsstärkungsgesetz
- In Kraft für den öffentlichen Sektor seit 28. Juni 2021, ab 28. Juni 2025 gilt es auch für private Unternehmen
- Basierend auf der EU-Richtlinie zum European Accessibility Act
- Ziel: Digitale Produkte und Dienstleistungen barrierefrei gestalten, damit alle Menschen – auch mit Behinderungen – gleichberechtigt teilhaben können.
Wer ist betroffen?
Müssen barrierefrei sein:
- Private Unternehmen, die digitale Dienstleistungen oder Produkte anbieten oder verkaufen, z. B.:
- Online-Shops
- Buchungsportale
- E-Book-Verlage
- Ticketdienste
- Banking-Apps
- Messenger & Kommunikationsdienste
- Selbstbedienungsterminals mit Touchscreen (z. B. Fahrkartenautomaten)
Ausnahme:
- Kleine Unternehmen mit:
- < 10 Mitarbeitenden
- UND < 2 Mio € Jahresumsatz
Was muss bis 28. Juni 2025 fertig sein?
Websites & Webshops:
- Müssen den Anforderungen der EN 301 549 (technischer Standard für digitale Barrierefreiheit) entsprechen.
- Praktisch heißt das: Umsetzung der WCAG 2.1 AA (bald auch 2.2 AA).
Digitale Produkte:
- Auch Apps, E-Books, Software, Automaten müssen barrierefrei nutzbar sein.
Was sind mögliche Folgen?
- Ab Juni 2025 können Verbraucherschutzverbände, Betroffene oder Aufsichtsbehörden Verstöße melden
- Abmahnungen, Beschwerden und Bußgelder sind möglich
- Es droht Image-Schaden bei öffentlicher Kritik
Wie fängt man am besten an?
1. Audit / Analyse
- Bestehende Website/App prüfen: Was ist schon barrierefrei, was nicht?
- Tools wie WAVE, axe (kostenpflichtig), Google Lighthouse (Extension für Chrome, Extension für Firefox) helfen beim Einstieg
2. Quickfixes umsetzen
- Farbkontraste, Alt-Texte, Linkbeschreibungen, Fokusrahmen etc.
3. Barrierefreiheit ins Design integrieren
- Design-System anpassen (Farben, Buttons, Fokuszustände, Textgrößen etc.)
4. Langfristige Strategie
- Entwickler- und Redaktionsteams schulen
- Regelmäßige Tests einführen
- Accessibility fest in Workflows einbauen
Bonus-Tipp: Mach’s zum Wettbewerbsvorteil
- Barrierefreiheit hilft allen Nutzern, nicht nur Menschen mit Behinderungen
- Verbessert SEO, UX, Usability – und zeigt gesellschaftliche Verantwortung
Habt ihr weitere Fragen, braucht ihr Unterstützung oder möchtet ihr eure Website barrierefrei machen lassen? Kontaktiert uns gerne. Wir bieten Workshops an, um euch im Thema Barrierefreiheit fit zu machen. Wir von points können eure Website barrierefrei bauen, wenn ihr es euch nicht zutraut oder ihr es gerne einem Experten überlassen möchtet. Schreibt uns unter a11y@points.de!
